Verfolgung der Schwulen

Stolperstein
© Frank Ahland

Die Verfolgung der Homosexuellen nach § 175 ist ein dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte. Etwa 52.000 Männer und männliche Jugendliche wurden im Nationalsozialismus wegen ihrer Homosexualität verurteilt, davon fanden mindestens 10.000 den Tod im KZ. Der Historiker Dr. Frank Ahland hat jetzt die Haftbücher des früheren Polizeigefängnisses in Dortmund systematisch nach den Opfern der Homosexuellenverfolgung ausgewertet. Demnach wurden dort in der Zeit von 1933 bis 1945 rund 660 Männer und Jugendliche wegen des Paragrafen 175 inhaftiert. Aus dem heutigen Kreis Unna stammten 25 Häftlinge.

Solche Zahlen hatte der Historiker Ahland nicht erwartet, schließlich galten die Haftbücher längst als systematisch erfasst. Im früheren Polizeigefängnis befindet sich heute die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, die den Nazi-Terror für Dortmund dokumentiert. Für Ahland beweist sich einmal mehr, dass die Opfer des Paragrafen 175 in der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen keine Rolle spielten. „Wir dürfen nicht vergessen, dass der von den Nationalsozialisten verschärfte Paragraf 175 bis zum Jahr 1969 bestehen blieb“, erklärt der Historiker. In der offiziellen Bundesrepublik erinnerte erstmals Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede zum Tag der Befreiung auch an die verfolgten Schwulen. Bis heute sind es überwiegend homosexuelle Wissenschaftler, die sich der Erforschung des Themas widmen. Die anderen schweigen beredt.

Für Dortmund kann Dr. Ahland die Verfolgungspraxis aufgrund der Auswertung der Haftbücher nun nachzeichnen. In der Westfalenmetropole blüht schon seit den 1920er Jahren eine kleine Schwulen-Szene auf. Ihre Treffpunkte werden im Dritten Reich zum Ziel verdeckter Ermittlungen. Zwei Beamte der Dortmunder Sitte zeichnen sich durch besonderen Ehrgeiz aus. Nachts veranstalten sie eine regelrechte Schwulenjagd. Der reguläre Dienst wird tagsüber abgeleistet, dann kommt es zu Verhaftungen, die hauptsächlich durch Denunziation ausgelöst werden. So trifft es beispielsweise drei Männer aus Fröndenberg.  Ab 1937 nimmt der Verfolgungsdruck auch in Dortmund erheblich zu. Anlass ist eine Rede Himmlers am Tag der deutschen Polizei, in der Homosexuelle quasi zu Staatsfeinden erklärt werden, die den Volkskörper schädigen, weil sie die nationalsozialistischen Männerbünde unterlaufen. Folglich müsse der NS-Staat vor ihnen geschützt werden. Für den Historiker Ahland ist das ein entscheidender Grund, warum der § 175 auch in der Bundesrepublik als Nazi-Unrecht zu betrachten ist: „Die Schwulenverfolgung war originärer Teil des nationalsozialistischen Unrechtssystems.“ 

Die Auswüchse der Verfolgung werden durch die von Ahland erstellte Häftlingsliste erschreckend sichtbar. Selbst Minderjährige bleiben nicht verschont. So finden sich zahlreiche Jugendliche unter den Häftlingen, die jüngsten sind 14 bis 16 Jahre alt. Auch Männer aus dem heutigen Kreis Unna werden Opfer. In den Haftbüchern finden sich 25 Einträge mit Hinweisen zu den Alt-Gemeinden Bergkamen, Bönen, Brambauer, Dellwig, Holzwickede, Horstmar, Kamen, Langschede, Lünen, Rünthe, Selm und Unna. Das Schicksal der homosexuellen Häftlinge aus dem Dortmunder Polizeigefängnis ist weitgehend unbekannt und bietet Grund für weitere Nachforschungen. „Wir müssen damit rechnen, dass wir in Dortmund über 100 KZ-Tote haben“, befürchtet Dr. Ahland.

Im Totenbuch der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen befindet sich ein Eintrag für Stefan Schminghoff, der am 20.02.1888 in Brambauer geboren wurde. Er wurde von den Nazis nach § 175 verfolgt und am 19.07.1940 in Sachsenhausen ermordet. Von einem Häftling aus Holzwickede ist bekannt, dass er das KZ überlebte. Er starb in den 1980er Jahren als betagter Mann und galt bis zu seinem Tod als verurteilter Sexualstraftäter. Erst im Jahre 2002 hat der Deutsche Bundestag die Urteile aus der NS-Zeit aufgehoben und die Männer rehabilitiert. Weitere 50.000 Schwule wurden in der Bundesrepublik nach § 175 verurteilt. Diese Urteile sind bis heute rechtskräftig.